— Im Artikel befinden sich einige Fotos, die ich auf den verschiedenen Messen aufgenommen habe. Die Qualität schwankt, da sie teilweise 10 Jahre alt sind und ich nie meine SLT mit auf die Messe nehme würde. —
Donnerstag, 22.08.2013
05.48 Uhr – Berlin – Hauptbahnhof
Nach einigem Hin und Her wegen der hochwasserbedingten Umleitung steige ich frohen Mutes in den ICE nach Köln, um mich wieder einmal in die Massen der Gamescom zu werfen. Etwa 5:45h sind für eine Richtung angesetzt, und um 17:30 soll schon der Zug zurück fahren, denn am Freitag ist wieder Uni.
Mit Vorfreude im Bauch lasse ich mich durch halb Deutschland fahren, sehe einen wundervollen Sonnenaufgang und bringe mich innerlich schon mal auf Betriebstemperatur. Energy-Drink? Check! Wasser? Check! Ordentlich Salami-Stullen? Doppelcheck! In Gedanken sehe ich mich schon gedrängt, aber dennoch glücklich durch die Messehallen wandern. Vergleichbar ist dieses Gefühl vielleicht damit, die Lieblingsband zum ersten mal Live zu sehen. Nach objektiven Gesichtspunkten wäre es nicht auszuhalten. Schlechte Luft, Blitzlicht wie bei einer Strobo-Party, Laute Musik aus jeder Ecke und dazu ein Gedränge, in dem die Intimsphäre auf die Dicke einer Nano-Beschichtung schrumpft.
Und doch habe ich immer diesen gewissen Geist gespürt, der mich all diese Dinge vergessen liess und mich mit einen tiefen Glücksgefühl beseelte. Der Zug nähert sich langsam Köln Messe/Deutz. Andere Gedanken schleichen sich dazu. Seit die Messe von Leipzig nach Köln gezogen ist, habe ich diesen Geist jedes Jahr weniger gespürt. Und ich war in jedem Jahr auf der Messe. Hüben wie drüben.
11.30 Uhr – Köln – KölnMesse
Ich bin aus dem ICE auf das Messegelände gepurzelt und mich beschleicht sofort das Gefühl, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Was machen diese Menschenschlangen hier? Die Messe ist seit Stunden geöffnet, doch die Halle mit den Tageskassen ist leer. Stattdessen wird einen stetig wachsende Menge von Ordnern draußen in der Sonne gehalten.
Ich hole mir ein rotes Bändchen ab. Ein Insignium der über-18-jährigen, mit dem ich mir des Einlasses an allen Ständen und der neidischen Blicke der Grün- und Blaubebänderten gewiss sein kann. Ich beschließe, die anderen Eingänge auszuprobieren und wandere um die Messe. Vielleicht sind die ja nicht ganz so überfüllt. Nach einem kurzen Weg Erreiche ich den nächsten Eingang. Die Schlange, die sich hier vor der ebenfalls leeren Kassenhalle gebildet hat, ist noch länger, dafür aber unter einem Dach und wesentlich schmaler. Ich beschließe mich einzureihen und Flehe in Gedanken den Overmind, Super Mario und Pacman an, es möge ein Wunder geschehen. Keine 30 Sekunden später ertönt es aus den Boxen vor der Halle: „Liebe Besucher…blabla…Alle Tageskarten sind ausverkauft.“ Ich bekomme Schnappatmung, während die Stimme fortfährt. Ab 13.00 könne man Nachmittagskarten kaufen, mit denen man dann ab 14.00 auf die Messe kann. Wenn, aber auch nur WENN bis dahin die Messe nicht mehr vollkommen überfüllt ist. Die Stimmt wiederholt das Ganze noch einmal in Englisch, während ich schon wieder den Weg in Richtung Bahnhof eingeschlagen habe. Nur kurz lächle ich über die Durchsage: „You can then enter the fair at 2 o‘ clock, if enough people have gone then“. Ich frage mich kurz, ob es eine unglückliche Wortwahl ist oder ob die Messe Köln tatsächlich damit rechnet, die Überfüllung der Hallen dadurch aufzulösen, dass einige Besucher dem sozialverträglichen Frühableben anheimfallen. Auf dem Weg zum Bahnhof streckt mir eine ausnehmend gut gelaunte und hübsche Red Bull-Mitarbeiterin eine eiskalte Dose Energy-Drink entgegen. Meine Stimmung hellt sich leicht auf. Diese Frau war das Beste, was mir die diesjährige Gamescom zu bieten hatte. Made my Day!
12.30 – Köln – Bahnhof Messe / Deutz
Ich sitze im ICE nach Berlin – noch immer fassungslos über das, was ich gerade erlebt habe. Nein, nicht die freundliche Dame bei Red Bull hat mir die Sprache verschlagen, sondern der
unfassbare Umstand, an einem Messedonnerstag keine Karte erhalten zu haben. Wütend reiße ich mir das rote Bändchen vom Handgelenk und versenke es in einem namenlosen ICE-Mülleimer. Wertlose Insignie! Diese Menschenschlangen – Diese Selbstverständlichkeit, mit der die Ordner die Massen gelenkt haben. Die Organisatoren haben das geahnt, oder noch schlimmer, die haben das gewusst und nichts getan, um eine solche Situation zu verhindern. Ich gehe in mich. Bin ich wirklich Wütend? Na ja, ja. Schon ein bisschen. Aber viel mehr bin ich traurig. Traurig darüber, dieses undefinierbare und deshalb umso schönere Glücksgefühl des Messetrubels dieses Jahr nicht erleben zu dürfen. Es treibt mir fast die Tränen in die Augen. Diese Messe, die in Leipzig von einem kleinen Happening zur größten Messe ihrer Art in Europa gewachsen ist und sich dabei immer ihre spezielle „Unschuld“ bewahrt hat, gibt es nicht mehr.
Ich spüre, das es nicht um die sinkende Giveaway-Ausbeute geht. Auch mit fast leeren Taschen war ich in den letzten Jahren immer mit einem zumindest „ausreichenden“ Gefühl von der Messe gegangen. Es geht auch nicht um das stetig schlechter werdende Verhältnis von Besuchern zu anfassbaren Spielestationen, obwohl das schon ein ziemlicher Wermutstropfen ist.
Ich dringe langsam zu dem Punkt vor, an dem die Messe sich verändert hat. Es ist ihr Kern – Das Erlebnis der Spieler auf der Messe. In Leipzig hatte ich stets das Gefühl, die Publisher und Entwickler kamen, um sich den Spielern zu zeigen. Gemeinsam stieß man auf das vergangene Jahr an und feierte, um das Kommende gebührend zu begrüßen. Mit jedem Jahr, in dem die Messe nun in Köln gastiert, hat sich dieses Bild mehr gewandelt. Ich habe das Gefühl, die Publisher kommen nun nach Köln, um sich selbst zu profilieren und ihre Spiele von den Fans abgöttisch Feiern zu lassen. Die Spieler sind immer weniger Teilnehmer der Messe als nur noch tumbe Massen, denen man moderne Gladiatorenkämpfe vorsetzt, um sie zu belustigen, damit sie danach dem großen Publisher-Imperator huldigen.
Das wirkt sich natürlich auch auf das Publikum aus. Mit jedem Jahr hatte ich das Gefühl, mich weniger unter gleichgesinnten Spielern zu befinden. Die von den Publishern betörten Besucher machen für einen Kugelschreiber die dusseligsten Spiele mit und stehen leider viel zu oft lefzend vor Bühnen, auf denen sichtlich verstörte Tänzerinnen im Bikini langsam begreifen, auf was sie sich da eingelassen haben. Die grölenden Moderatoren freut es zumindest nach außen. Kinderspiel, immerhin hat man ihnen noch alle Klamotten gelassen.
Ohne die alte Ost-West Keule zu sehr schwingen zu wollen, habe ich doch das Gefühl, dass sich viele Klischees über die alten Bundesländer hier bewahrheiten. Alles nehmen – viel Versprechen – wenig tun – nichts richtig auf die Reihe kriegen und aus diesem langsam schimmelnden Paket noch einen Gewinn ziehen. Frei nach Michael Moore Frage ich deshalb: Dude, where’s my exhibition?
Was wurden nicht alles für Gründe vorgebracht, um die Messe aus Leipzig zu holen. Wachstumspotenzial, Infrastruktur, Hotelbetten, Reichweite. Und aus keiner dieser Punkte wurde etwas gemacht. Die Messe stagniert zwar über dem Niveau der letzten Games Convention, aber setzt man den Einzugsbereich von Köln gegen den von Leipzig, dann relativiert sich das sehr schnell. Vor allem die Fläche ist kaum gewachsen. Hier schließt sicher Kreis zur donnerstags ausverkauften Gamescom 2013. Wie alles was wächst, bräuchte die Messe Platz. Platz, den die Organisatoren nicht geben können oder wollen. In beiden Varianten ist es eine Schande für die europäische Leitmesse für Computer- und Videospiele. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass man in Köln keine Traditionen pflegt und versucht, die Messe auszupressen wie eine längst trockene Zitrone. Erinnert sich noch jemand an das jährliche Konzert im ehrwürdigen Gewandhaus Leipzig, bei dem Metal Gear Solid, Super Mario und Co. von einem Sinfonieorchester intoniert wurden? Ein atemberaubendes Erlebnis. Die Konzertreihe am Rande der Messe ist dagegen Von Köln 1:1 übernommen worden. Preise für Kreativität würde ich dafür nicht vergeben. Stattdessen wird die GC Family, die Ruhezone der Messe, an den Rand gedrängt. Mit Cosplay und Elektromobilität ziehen dazu Themenfremde Bereiche ein, die von dem knappen Platz auch noch etwas abhaben wollen. Anscheinend soll die Gamescom mal eben so nebenbei noch zur Deutschen ComicCon werden. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Strategie irgendjemanden außer die Finanzverantwortlichen der Kölnmesse glücklich macht.
18.07 Uhr – Berlin – Hauptbahnhof
Zurück in der Hauptstadt atme ich noch einmal durch. Was war das für ein Tag. über elf Stunden im Zug, um den bisherigen Tiefpunkt der Spielemessen in Deutschland von außen zu sehen. Die Bilder, die ich auf der Fahrt über Twitter und Co. gesehen habe, schockieren mich noch immer. Ich bin fast schon froh, mir Das nicht aus nächster Nähe angetan zu haben. Und trotzdem bin ich nicht froh, denn nach über 10 Jahren war die Messe ein heiß geliebter Teil des Jahres für mich. Mit dem langsamen Verfall des Konzeptes und dem abrupten Höhepunkt des Einlasstops am Donnerstag ist dieser Teil aber nun für mich gestorben. Lebe wohl, Messe der Spieler. Ich wünsche dir alles Gute, Messe der Publisher. Vielleicht sehen wir uns ja eines Tages wieder, wenn sicher einer von uns verändert hat.
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